Jerry der Insulaner - Eine Buchrezension zum Thema Rassismus

Liebe Leser*innen,


die weltweit wohl erste Publikation über einen Irish Terrier ist die 1917 erschienene Hundegeschichte „Jerry der Insulaner“ (Jerry of the Islands). Es ist eines der in Deutschland weniger bekannten Bücher von Jack London, der mit Hunden aufgewachsen ist (siehe Bild).


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Wenn man „Jerry der Insulaner“ liest, gruselt es einen in Anbetracht des Rassismus und der Brutalität, die hier zum Ausdruck kommen. Leider ist das Thema Rassismus aktueller denn je. Eine herausragende Rezension zum Buch und zur gesellschaftspolitischen Einordnung der Geschichte von Jerry ist von Georg Klein in der Frankfurter Rundschau geschrieben worden. Viel Vergnügen beim Lesen.

Petra Platen


„Nehmen Sie Ihre ganze Tierliebe zusammen und stellen Sie Sich einen prächtigen Hund vor: einen jungen, glatthaarigen, goldbraunen Terrier, der Jerry gerufen wird. Jerry ist treu wie Gold, tapfer wie ein Löwe. Seine hündische Klugheit steht der unserer menschlichen kaum nach, und weil wir in einer Tiergeschichte von Jack London sind, können wir Wort für Wort lesen, was sich Jerry über die Wesen denkt, denen er in seiner Welt, auf den Inseln der Südsee, begegnet: "Die Buschhunde waren zwar auch Hunde - er erkannte sie als seine Art an; aber sie unterschieden sich doch irgendwie von seiner eigenen stolzen Rasse, waren anders und geringer, gerade wie die Schwarzen sich von Herrn Haggin, Derby und Bob unterschieden."


Ohne Zweifel, dieser Hund ist, obwohl er hier, am Anfang der Geschichte, erst zarte sechs Monate zählt, bereits ein ausgewachsener Rassist: "Ein Nigger war etwas, was man anknurrte. Ein Nigger, der nicht zum Haushalt gehörte, war etwas, was angefallen, gebissen und zerrissen werden musste, wenn er sich erfrechte, dem Haus zu nahe zu kommen." In Jack Londons großer Südsee-Erzählung Jerry, der Insulaner geschieht dem vierbeinigen Titelhelden bald das Schlimmste, was einem rassestolzen Terrier passieren kann: Er fällt in schwarze Hände. Die Jacht seines Herrchens, eines Holländers, der mit Sklaven handelt, wird auf der Insel Somo von den Kriegern des gleichnamigen Stamms gestürmt. Und als sich am Abend der Kopf des weißen Kapitäns über dem Feuer dreht und im Rauch langsam zur Trophäe dunkelt, liegt das goldbraune Hundchen gefesselt im Kanuhaus unter den menschlichen Gefangenen, die nach und nach als sogenannte "Langschweine" aufgefressen werden sollen.


Jerry jedoch wird nicht in den Kochtopf wandern. Baschti, der greise Häuptling von Somo, hat etwas anderes mit dem Terrier vor: "Da alle Hunde von schwarzen Menschen Feiglinge waren, wurden weiter alle Hunde von schwarzen Menschen, so viele man ihrer auch heranzog, Feiglinge. Die Hunde weißer Menschen waren mutige Kämpfer. Wenn sie sich fortpflanzten, mussten sie ebenfalls mutige Kämpfer hervorbringen. ... Das klügste war, ihn (Jerry) als Zuchthund zu betrachten und am Leben zu erhalten, so dass sein Mut in kommenden Generationen von Somo-Hunden immer wiederkehrte und sich verbreitete, bis alle Somo-Hunde stark und mutig waren."


Man sieht, in Jack Londons Südseewelt sind selbst die Schwarzen gläubige und praktizierende Rassisten. Häuptling Baschti hat klare Vorstellungen von "Rassenverbesserung", und er schreitet nicht nur bei den Hunden zur Tat. Als ein alter, durch einen Unfall erblindeter Krieger mit großer Kaltblütigkeit und Klugheit den Mordanschlag einer feindlichen Sippe abwehrt, zwingt das Stammesoberhaupt den eingefleischten Junggesellen zwei junge Frauen in seiner Hütte aufzunehmen. Denn die Tugenden, die der Alte besitzt, sollen an Nachkommen weitergeben werden: "Der Stamm lebt. Der Stamm stirbt nie. Und deshalb müssen wir, wenn unser Leben überhaupt einen Sinn haben soll, den Stamm stark machen."……..


……..Wer Londons Tiergeschichten liest, ahnt, wie närrisch es ist, rassistisches Gedankengut ausrotten zu wollen. Überall, wo die komplexen Verhältnisse zwingen, kompliziert zu denken, wächst die Sehnsucht nach einfach strukturierten Erklärungsmodellen. Und welches Weltbild könnte dem Rassismus in seiner Schlichtheit und Schlüssigkeit, in seiner blauäugigen Triftigkeit schlagen? So bleibt der moderne Rassismus, um der Bilderwelt von Jack Londons Erzählen eine letzte Reverenz zu erweisen, der treuherzige Hund, der mit uns am Lagerfeuer der Gegenwart liegt. Er döst, während wir ihm gedankenverloren das goldbraune Fell kraulen. Aber dann springt er plötzlich, knurrend und zähnefletschend, auf, weil er geträumt hat, wie entsetzlich groß und wirr und undurchschaubar dunkel die Welt ist.“


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